Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs

VwGH-Erkenntnis vom 4. 10. 2001

Der Verwaltungsgerichtshof setzt sich nach einer ideologisch motivierten Entscheidung der scharfen Kritik der HOSI Wien aus.

Geschäftszahl

98/08/0218

Entscheidungsdatum

20011004

Veröffentlichungsdatum

20020304

Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ASVGNov 36te; BKUVG § 56 Abs 6; BKUVGNov 10te; BSVGNov 04te; GSVGNov 04te;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Mag. P in W, vertreten durch Dr. Josef Unterweger und Dr. Sepp Brugger, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 19. März 1998, Zl. MA 15-II- B 3/98, betreffend Feststellung der Angehörigeneigenschaft gemäß § 56 Abs. 6 B-KUVG (mitbeteiligte Partei: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,– binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte mit dem an die Mitbeteiligte gerichteten Schreiben vom 1. Juli 1997 die Feststellung der Mitversicherung als Angehöriger. Er führte aus, Dr. Johann S. sei Beamter und nach dem B-KUVG pflichtversichert. Der Beschwerdeführer lebe mit dem Versicherten seit mehr als zehn Monaten im gemeinsamen Haushalt; er führe für den Versicherten den Haushalt unentgeltlich. Er lebe mit dem Versicherten in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft.

Die Bestimmung des § 56 Abs. 6 B-KUVG beschränke die Angehörigeneigenschaft auf heterosexuelle Lebensgemeinschaften. Eine Begründung für diese Beschränkung sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dies lasse den Schluss zu, dass die Mitversicherung gleichgeschlechtlicher Lebensgefährten vom Gesetzgeber nicht habe ausgeschlossen werden wollen. Bei verfassungs- und menschenrechtskonformer Interpretation sei daher davon auszugehen, dass Lebensgefährten – unabhängig von der sexuellen Ausrichtung des Versicherten – mitzuversichern seien.

Die Mitbeteiligte wies mit Bescheid vom 13. Jänner 1998 diesen Antrag ab. In der Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 56 Abs. 6 B-KUVG gelte als Angehörige auch eine mit dem (der) Versicherten nicht verwandte andersgeschlechtliche Person, die seit mindestens zehn Monaten mit ihm (ihr) in Hausgemeinschaft lebe und ihm (ihr) seit dieser Zeit unentgeltlich den Haushalt führe, wenn ein im gemeinsamen Haushalt lebender arbeitsfähiger Ehegatte nicht vorhanden sei. Beim Beschwerdeführer handle es sich nicht um eine andersgeschlechtliche Person als dem Versicherten. Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Darin machte er geltend, die derzeitige Regelung des § 56 Abs. 6 leg. cit. sei im Jahre 1981 eingeführt worden. Nach den Erläuternden Bemerkungen sei es das ausschließliche Ziel der zitierten Bestimmungen gewesen, die Grundsätze der Partnerschaft und Gleichbehandlung auch im Sozialversicherungsrecht zu verankern. Weder den Gesetzen noch den Erläuternden Bemerkungen sei irgendeine Begründung zu entnehmen, weshalb eine Mitversicherung nur auf andersgeschlechtliche Lebensgemeinschaften beschränkt sei. Dies lasse den nicht unberechtigten Schluss zu, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Unterscheidung getroffen worden sei. Dies vor allem deshalb, weil eine Beschränkung der Angehörigeneigenschaft auf „andersgeschlechtliche“ Lebensgemeinschaften wohl nicht dem „beabsichtigten Prinzip der Gleichbehandlung“ entspreche. Auch ein gleichgeschlechtlicher Lebensgefährte könne für den Versicherten unentgeltlich den Haushalt führen. Eine allfällige sachliche Rechtfertigung der gesetzlichen Unterscheidung sei daher nicht gegeben.

Die belangte Behörde wies den Einspruch als unbegründet ab und bestätigte den bekämpften Bescheid. Nach der Begründung schloss sie sich der Rechtsauffassung der Mitbeteiligten an.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschluss vom 15. Juni 1998 ab (B 935/98) und trat sie über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 20. Juli 1998). Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Mitversicherung als Lebensgefährte verletzt. Er beantragt, den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift ebenso wie die Mitbeteiligte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hält zunächst seinen im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Standpunkt aufrecht, wonach – zusammengefasst – die derzeit auf der zehnten B-KUVG-Novelle beruhende Beschränkung der Mitversicherungsmöglichkeit auf andersgeschlechtliche Lebensgefährten dem eigentlichen Zweck der Sozialgesetze widerspreche. Die Beschränkung sei weiters willkürlich, sachlich nicht gerechtfertigt sowie nicht nachvollziehbar.

Dem ist Folgendes zu entgegnen:

Die 10. Novelle zum B-KUVG verfolgt ebenso wie die 36. Novelle zum ASVG, die 4. Novelle zum GSVG und die 4. Novelle zum BSVG das ausschließliche Ziel, die Grundsätze der Partnerschaft und Gleichbehandlung, wie sie seit der Familienrechtsreform (BGBl. Nr. 412/1975) Richtschnur für die Beurteilung der rechtlichen Beziehungen der Ehegatten zueinander sind, auf das Sozialversicherungsrecht zu übertragen. Die Umschreibung der anspruchsberechtigten Angehörigen wurde demnach der Diktion der Familienrechtsreform angepasst. Der allgemeine Hinweis des Beschwerdeführers auf die Grundsätze der Partnerschaft und Gleichbehandlung geht daher insofern fehl, weil sich diese Grundsätze ausschließlich auf die Verhältnisse von Ehegatten zueinander beziehen.

Neben dieser Mitversicherung dieser taxativ aufgezählten durch familienrechtliche Bande verbundenen Angehörigen wurde auch die Mitversicherung einer für den Versicherten den Haushalt führenden Person neu festgelegt. Nach den genannten Sozialversicherungsgesetzen kommt eine solche Mitversicherung neben weiteren Voraussetzungen nur dann in Betracht, wenn im Haushalt des Versicherten kein lebender arbeitsfähiger Ehegatte vorhanden ist. Das GSVG (§ 83 Abs. 8;) und das BSVG (§ 78 Abs. 7) räumen dem Versicherungsträger die Ermächtigung ein, durch Satzung nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit zu bestimmen, dass eine mit dem (der) Versicherten nicht verwandte bzw. nicht verschwägerte andersgeschlechtliche Person unter weiteren Voraussetzungen den mitversicherten Angehörigen im Sinne des jeweiligen Abs. 2 gleichgestellt wird.

Nach dem ASVG (§ 123 Abs. 7) kann eine derartige Mitversicherung nur auf eine bestimmt bezeichnete verwandte Person übertragen werden. Weiters ist im ASVG dem Versicherungsträger die Möglichkeit eingeräumt, durch Satzung nach Maßgabe der finanziellen Leistungsfähigkeit zu bestimmen, dass mit dem (der) Versicherten eine nicht verwandte anders geschlechtliche Person den im § 123 Abs. 7 genannten Angehörigen unter den dort bezeichneten Voraussetzungen gleichgestellt wird.

Der hier anzuwendende § 56 Abs. 6 B-KUVG lautet:

„(6) Als Angehörige gilt jeweils auch eine Person aus dem Kreis der Eltern, Wahl-, Stief- und Pflegeeltern, der Kinder, Wahl- , Stief- und Pflegekinder, der Enkel oder der Geschwister des (der) Versicherten oder eine mit dem (der) Versicherten nicht verwandte andersgeschlechtliche Person, die seit mindestens zehn Monaten mit ihm (ihr) in Hausgemeinschaft lebt und ihm (ihr) seit dieser Zeit unentgeltlich den Haushalt führt, wenn ein im gemeinsamen Haushalt lebender arbeitsfähiger Ehegatte nicht vorhanden ist. Angehöriger aus diesem Grunde kann nur eine einzige Person sein.“

Demnach gilt die den Haushalt für den Versicherten führende Person unter weiteren Voraussetzungen als Angehörige. Handelt es sich um eine verwandte Person, so kann sie nur aus dem Kreis der Eltern, Wahl-, Stief- und Pflegeeltern, der Kinder, Wahl-, Stief- und Pflegekinder, der Enkel oder der Geschwister stammen, wobei nach dem Geschlecht nicht differenziert wird, kommt sie aus dem Kreis der nichtverwandten Personen, kann es sich nur um eine andersgeschlechtliche Person handeln.

Diesbezüglich hat § 56 Abs. 6 B-KUVG den Partner (die Partnerin) einer heterosexuellen Lebensgemeinschaft im Auge, wenn er eine „nicht verwandte andersgeschlechtliche Person“ zur Mitversicherung zulässt, wobei das Gesetz an Stelle des Erfordernisses einer Wirtschaftsgemeinschaft (neben der Wohngemeinschaft) das Merkmal der Haushaltsführung (ebenso wie im Falle verwandter Haushaltsangehöriger) genügen lässt. Obzwar – wie der letzte Halbsatz des ersten Satzes des § 56 Abs. 6 B-KUVG zeigt – auch ein im gemeinsamen Haushalt lebender, arbeitsunfähiger Ehegatte die Mitversicherung einer andersgeschlechtlichen, mit dem Versicherten nicht verwandten, unentgeltlich haushaltsführenden Person nicht ausschließt (und in einer solchen Konstellation nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass zwischen dem Versicherten und der haushaltsführenden Person eine Lebensgemeinschaft besteht), nimmt eine solche – eher seltene – Konstellation der Norm noch nicht ihre eigentliche, der Sache nach auf heterosexuelle Lebensgemeinschaften zielende Zweckbestimmung.

Ob die Einschränkung auf andersgeschlechtliche Personen in der hier maßgebenden Regelung nach dem Primärrecht der Europäischen Union diskriminierend und damit unanwendbar wäre, kann auf sich beruhen, weil der gegenständliche Sachverhalt keinen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist.

Eine Verletzung von Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil aus Art. 8 EMRK keine Gewährleistung bestimmter sozialer Rechte abgeleitet werden kann und daher der Schutzbereich dieser Bestimmung gar nicht betroffen ist.

Was die gleichheitsrechtlichen Bedenken betrifft, so darf nicht übersehen werden, dass die Regelung des § 56 Abs. 6 B-KUVG an sich geschlechtsneutral ist, jedoch im Ergebnis nach der sexuellen Orientierung unterscheidet. Bei Anstellen einer Durchschnittsbetrachtung erfolgt das Zusammenleben verschiedengeschlechtlicher Personen bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen des § 56 Abs. 6 B-KUVG in der Regel zum Zwecke einer Lebensgemeinschaft, während im Falle des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Personen auch dann, wenn eine Person den Haushalt führt, in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ohne weiteres von einer (diesfalls homosexuellen) Lebensgemeinschaft ausgegangen werden kann. Ohne Schaffung der Möglichkeit der Registrierung von solchen Lebensgemeinschaften ist die Unterscheidung homosexueller Lebensgemeinschaften von bloßen Wohngemeinschaften objektiv schwer zu treffen; es kann – will man nicht bloße Behauptungen genügen lassen – nur mit sehr hohem Verwaltungsaufwand und heiklen Ermittlungen über sensible Daten des Privatlebens die für eine sachgerechte Vollziehung notwendige Trennschärfe erreicht werden. Diese Unterschiede im Tatsächlichen vermögen die unterschiedliche Behandlung heterosexueller und homosexueller Lebensgemeinschaften noch zu rechtfertigen, sodass der Verwaltungsgerichtshof – gleich dem Verfassungsgerichtshof – derzeit auch keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung hegt.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. Oktober 2001

Dokumentnummer

JWT/1998080218/20011004X00

HOSI-Wien-Reaktion zu diesem Entscheid.

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