Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs


Hintergrund

Gleichstellung und Nichtdiskriminierung von Lesben und Schwulen – ein Menschenrecht

Sexuelle Orientierung im internationalen Menschenrechts-Schutzsystem

Von Kurt Krickler

Aus: „Teaching Human Rights – Informationen zur Menschenrechtsbildung“, Frühjahr 2001

Als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet wurde, war Homosexualität ein großes Tabu und gesellschaftlich geächtet – und in vielen Ländern noch verboten. Die Kriminalisierung der Homosexualität hat in Europa eine sehr lange Geschichte und ist eng mit der katholischen Kirche verbunden. Sie geht zurück bis in die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung und wurde erst mit der Französischen Revolution in Frage gestellt. Homosexualität galt als Sünde, und da es keine Trennung von Kirche und Staat gab, wurde sie auch strafrechtlich verfolgt, wie im Übrigen jeglicher Geschlechtsverkehr, der nicht Vaginalverkehr in der Missionarsstellung zwischen Mann und Frau zum Zwecke der Zeugung von Nachkommen war. Alle anderen Formen des Geschlechtsverkehrs wurden unter dem Begriff „Sodomie“ zusammengefasst und verboten. Noch im Mittelalter stand die Todesstrafe auf dieses Verbrechen. Das änderte sich erst mit der Französischen Revolution. In Frankreich wurden diese Straftatbestände 1789 abgeschafft. In den folgenden 200 Jahren wurde das Totalverbot der Homosexualität sukzessive in ganz Europa aufgehoben, wobei Österreich 1971 eines der letzten Länder dabei war. Heute hat keiner der 45 europäischen Staaten ein Totalverbot mehr.

Die Nazi-Zeit brachte einen großen Rückschlag. Nicht nur, dass Homosexuelle systematisch verfolgt, in Konzentrationslagern inhaftiert und in vielen Fällen ermordet wurden, hat die anti-homosexuelle Nazi-Gehirnwäsche auch bis spät in die 60er Jahre und zum Teil bis heute in den Köpfen der Bevölkerung nachgewirkt und eine den Menschenrechten verpflichtete Behandlung von Lesben und Schwulen verhindert.

Dass „sexuelle Orientierung“ weder in die Erklärung von 1948 noch in die späteren Menschenrechtskonventionen der UNO und des Europarats ausdrücklich als Schutzkategorie aufgenommen wurde, überrascht daher zwar einerseits nicht, aber andererseits wäre dies dennoch naheliegend gewesen, waren doch diese Menschenrechtserklärungen und -pakte die direkte Antwort auf die Barbarei des Nazi-Regimes, das bestimmten Bevölkerungsgruppen selbst das Recht auf Existenz abgesprochen hatte und von dem eben auch Homosexuelle als eine soziale Gruppen verfolgt wurden.

Dieses Manko dient jedenfalls bis heute noch als Begründung dafür, Lesben und Schwulen volle Menschenrechte vorzuenthalten. Eine explizite Erwähnung von „sexueller Orientierung“ ist aber eigentlich gar nicht nötig, denn eine Diskriminierung aus diesem Grund ist immer und in erster Linie auch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – und die wird von allen Konventionen geächtet. Beispiel: Eine Frau darf keine Frau heiraten: Wäre sie ein Mann, dürfte sie. Das hat gar nichts mit sexueller Orientierung zu tun, denn auch zwei bi- oder heterosexuelle Frauen dürfen einander nicht heiraten.

Kein anderer Aspekt zeigt im Übrigen so deutlich wie die Einstellung zur Homosexualität, dass auch die „klassischen“ Menschenrechte – also die bürgerlichen und politischen Grundfreiheiten und Rechte – nichts Statisches sind, sondern sich ständig weiterentwickeln und im Laufe der Zeit Neuinterpretationen unterworfen sind, die den gesellschaftlichen Entwicklungen allerdings immer erst hinterherhinken und nicht – was wünschenswert wäre – dem öffentlichen Bewusstsein vorauseilen, um dem Fortschritt den Weg zu bahnen.

Das geänderte gesellschaftliche Bewusstsein in den letzten Jahrzehnten und die allgemeine Weiterentwicklung des Menschenrechtsbegriffs konnten nicht ohne Auswirkungen auf den Diskurs der ExpertInnen und die Entscheidungen der einschlägigen Menschenrechtsinstanzen bleiben. Die Auffassung, eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung stelle eine Verletzung bestehender Konventionen dar, setzt sich sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene immer mehr durch, wie sich etwa auf der 2. UNO-Weltkonferenz über Menschenrechte in Wien 1993, auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 oder im Rahmen der „Menschlichen Dimension“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gezeigt hat.

Als erstes Menschenrechtsorgan hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg diesem geänderten Bewusstsein Rechnung getragen und 1981 das Totalverbot homosexueller Handlungen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eingestuft (Beschwerde Dudgeon gegen das Vereinigte Königreich). Das war allerdings keine revolutionäre und richtungsweisende Entscheidung, sondern der Gerichtshof vollzog, wie vorhin erwähnt, eine gesellschaftliche Entwicklung bloß nach, denn zu diesem Zeitpunkt hatte die überwiegende Mehrheit der Mitgliedsstaaten des Europarats (bis auf drei) dieses Totalverbot ohnehin bereits aufgehoben. Ähnlich war es auch bei den Entscheidungen der Europäischen Menschenrechtskommission hinsichtlich der diskriminierenden Mindestaltersgrenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen: Als sie 1997 in der Beschwerde Sutherland gegen das Vereinigte Königreich die höhere Altersgrenzen für homosexuelle Beziehungen als Verletzung der EMRK qualifizierte, verfügte nur mehr rund ein Drittel der Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, über derartige Bestimmungen im Strafrecht. Zuvor hatten die Menschenrechtsorgane des Europarats über Jahrzehnte hinweg sämtliche Beschwerden gegen unterschiedliche Mindestaltersgrenzen ebenfalls negativ beschieden. Mit diesen beiden Entscheidungen – und anderen (siehe später) – hat der Gerichtshof jedenfalls klargestellt, dass Artikel 14 der EMRK „sexuelle Orientierung“ miteinschließt, auch wenn dieses Merkmal nicht explizit darin aufgezählt wird. 2000 wurde das Zusatzprotokoll 12 von den Europaratsgremien angenommen und zur Unterzeichnung aufgelegt. Es sieht nicht nur eine Stärkung dieses Artikels 14 vor, sondern stellt in den Erläuterungen auch ausdrücklich fest, dass Merkmale wie „sexuelle Orientierung“ durch Artikel 14 erfasst sind. Durch dieses Zusatzprotokoll wird die Bestimmung im Artikel 14 zu einem allgemeinen Diskriminierungsverbot – zuvor konnte eine Verletzung des Artikels 14 (Genuss der durch die EMRK garantierten Rechte ohne Benachteiligung aufgrund der aufgelisteten Schutzkategorien) nur in Verbindung mit der Verletzung eines anderen von der Konvention garantierten Rechts (etwa auf Achtung des Familienlebens) geltend gemacht werden.

In allen anderen Beschwerdefällen homosexueller BürgerInnen hat Straßburg ebenfalls lange Zeit zu deren Ungunsten entschieden. Diese Fälle betrafen u. a. diskriminierende Ausländergesetzgebung, die z. B. keine Familienzusammenführung lesbischer bzw. schwuler Paare erlaubte. In einer diesbezüglichen Beschwerde aus Großbritannien beschied die Kommission 1983, dass trotz der geänderten Einstellungen zur Homosexualität die Kommission nicht der Ansicht ist, dass die homosexuelle Beziehung des Beschwerdeführers unter das im Artikel 8 garantierte Recht auf Achtung des Familienlebens fällt. Ähnlich negative Entscheidungen traf die Kommission in der Beschwerde eines lesbischen Paares – ebenfalls gegen die britischen Einwanderungsgesetze –, das ein durch künstliche Befruchtung empfangenes Baby gemeinsam aufzog, und in einer niederländischen Beschwerde eines lesbischen Paares und des Sohnes einer der beiden Frauen dagegen, dass die Partnerin der Mutter nicht ebenfalls das Sorgerecht über den Sohn erhalten konnte. In beiden Fällen erklärte die Kommission, die Beziehungen der Beschwerdeführer stellten keine „Familie“ im Sinne der EMRK dar. Noch hat sich die Kommission nicht entschließen können, diese Sachverhalte und Lebensumstände statt unter dem Gesichtspunkt der Achtung des Familienlebens unter dem Gesichtspunkt der Achtung des Privatlebens positiv zu prüfen – ein Recht, das ja ebenfalls durch Artikel 8 EMRK garantiert wird und auf das sich die Straßburger Instanzen in den positiv erledigten Fällen berufen haben. Genauso konservativ und traditionell hat sich die Kommission auch in Fragen der Ehe geäußert. Hier war sie allerdings bisher nur mit Beschwerden von Transsexuellen befasst gewesen.

Aber auch hier ist in jüngster Zeit einiges in Bewegung geraten. 1999 entschied der EGMR, dass das Berufsverbot gegen Lesben und Schwule in der britischen Armee gegen die EMRK verstößt. Im selben Jahr stellte der Gerichtshof in einem Verfahren gegen Portugal fest, dass es eine Verletzung der Konvention darstellt, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Homosexualität das Sorgerecht über seine Tochter entzogen wurde. Zwei weitere interessante Beschwerden sind in diesem Zusammenhang in Straßburg anhängig: eine gegen Frankreich, weil eine Behörde einem homosexuellen Mann grundsätzlich die Eigenschaft abgesprochen hat, als Adoptivvater in Frage zu kommen, und eine gegen Österreich, weil durch die oberstgerichtliche Auslegung des Mietrechtsgesetzes verschiedengeschlechtlichen hinterbliebenen LebensgefährtInnen das Eintrittsrecht in den Mietvertrag des verstorbenen Hauptmieters verwehrt wird. Zwei potentiell richtungsweisende Entscheidungen stehen also an.

Der UNO-Ausschuss für Menschenrechte, der die Einhaltung des „Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte“ überwacht, entschied 1994 in der Beschwerde Toonen gegen Australien (wegen des Totalverbots homosexueller Handlungen im Bundesstaat Tasmanien) ebenfalls, dass ein Totalverbot homosexueller Handlungen eine Verletzung dieses UNO-Paktes darstellt. Diese Entscheidung ist auch deshalb so bedeutsam, da der Ausschuss in seiner Begründung ausdrücklich festhält, dass das Wort „Geschlecht“ im Artikel 2 Absatz 1 sowie im Artikel 26 des Paktes auch „sexuelle Orientierung“ miteinschließt.

Artikel 2 (1) lautet: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Jurisdiktion unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten.

Artikel 26 lautet: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. In dieser Hinsicht hat das Gesetz jede Diskriminierung zu verbieten und allen Menschen gegen jede Diskriminierung, wie insbesondere wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status, gleichen und wirksamen Schutz zu gewährleisten.

Da dieser Artikel 26 ein allgemeines Diskriminierungsverbot formuliert, bedeutet dies, dass nicht nur ein Totalverbot homosexueller Handlungen die UNO-Menschenrechtskonvention verletzt, sondern jede diskriminierende Gesetzesbestimmung, also etwa auch eine unterschiedliche Mindestaltersgrenze, wie sie im § 209 des österreichischen Strafgesetzbuches immer noch besteht, und – denkt man die Entscheidung konsequent zu Ende – letztlich auch das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare. Österreich hat den UNO-Pakt übrigens ins innerstaatliche Recht übernommen (BGBl. 591/1978).

Wie weit Theorie und Praxis in Sachen Menschenrechte auseinanderklaffen, wird gerade hier besonders deutlich: Rund 80 UNO-Mitgliedsstaaten stellen trotz der Toonen-Entscheidung Homosexualität weiterhin unter Strafe – von Konsequenzen wie der Aufhebung des Eheverbots erst gar nicht zu reden.

Als erste internationale Menschenrechtscharta hat die beim EU-Gipfel in Nizza im Dezember 2000 angenommene Charta der Grundrechte der Europäischen Union „sexuelle Orientierung“ ausdrücklich als schutzwürdiges Merkmal aufgenommen. Die Charta ist allerdings noch nicht rechtsverbindlich, weil noch nicht in die EU-Verträge aufgenommen. Im Artikel 21 der Charta heißt es:

Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

Der Haken bei dieser Charta ist allerdings, dass sie nur für die EU-Institutionen und die Mitgliedsstaaten gelten, wenn diese Gemeinschaftsrecht anwenden. Da Strafrecht und Familienrecht weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten fallen, wird man sich also gerade in diesen Bereichen, wo Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung am häufigsten vorkommen, leider nicht auf dieses Diskriminierungsverbot im Artikel 21 der Charta berufen können.

Die EU bietet aber auch gewissen Diskriminierungsschutz aufgrund anderer Rechtsvorschriften. Durch den am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam wurde in den EG-Vertrag ein neuer Artikel 13 eingefügt. Er überträgt der EU die Kompetenz, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung zu bekämpfen. Allerdings bedarf es zur Ergreifung solcher Maßnahmen eines einstimmigen Beschlusses im Rat der EU, also aller 15 Mitgliedsstaaten.

Als eine der ersten Maßnahmen auf der Grundlage dieses Artikels 13 wurde im November des Vorjahres vom Rat die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verabschiedet. Sie umfasst die Gründe Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung – die anderen im Artikel 13 angeführten Gründe werden von anderen Rechtsvorschriften abgedeckt. Diese Richtlinie sieht einen umfassenden Diskriminierungsschutz im Bereich der Arbeitswelt vor und umfasst u. a. Ausbildung, Fortbildung, Anstellung, Kündigung und Beförderung. Sie muss nunmehr von allen Mitgliedsstaaten bis Dezember 2003 in nationales Recht umgesetzt werden.

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