Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs

§ 209: Angeblich neues Bedenken war gar nicht neu! HOSI Wien wendet sich an Bundespräsident Klestil um Hilfe

Der Bundespräsident soll für eine Rehabilitierung der Justizopfer sorgen.

„Der VfGH hat sich geirrt – ob absichtlich oder nicht, sei dahingestellt –, wenn er behauptet, er habe § 209 StGB unter einem neuen Bedenken geprüft“, erklärt HOSI-Wien-Obfrau Helga Pankratz. „Wir haben das nachgeprüft: Dieses angeblich neue Bedenken – Wechsel ein und derselben Beziehung von Straffreiheit zu Strafbarkeit und zurück zu Straffreiheit bei entsprechendem Altersunterschied zweier Jugendlicher –, mit dem der VfGH sein Erkenntnis begründet, ist gar nicht neu!“

„In der von der HOSI Wien unterstützten und 1989 vom VfGH entschiedenen Beschwerde wurde dieser Aspekt bereits auf knapp einer Seite ausführlich vorgetragen. Das bedeutet jedoch, daß der VfGH jetzt selbst bestätigt hat, daß sein Spruch aus 1989 ein Fehlurteil war.“

In der 2. Republik wohl einmalig

„Das heißt aber logischerweise auch“, erläutert Obmann Christian Högl weiter, „daß alle seit 1989 nach § 209 verurteilten Personen nicht nur menschenrechtswidrig, sondern auch wegen einer – erst heute offenkundig gewordenen – Fehlentscheidung des VfGH im Gefängnis gesessen sind. Denn der VfGH hätte natürlich bereits 1989 aufgrund dieses Bedenkens den 209er als verfassungswidrig aufheben müssen! Für uns stellt dies eine schwerwiegende Krise des Rechtsstaates dar, die unser Vertrauen in den VfGH massiv erschüttert: Man muß sich das einmal vorstellen: Der VfGH ignoriert ein Bedenken, das später die Grundlage für die Aufhebung eines Gesetzes ist, und daraufhin werden 250 Personen rechtswidrig verurteilt und ins Gefängnis gesperrt! Es gibt wohl keinen annähernd ähnlich gravierenden Fall in der 2. Republik.“

Dramatischer Appell an Bundespräsident Klestil

„Die HOSI Wien hat daher in ihrer gestrigen Vorstandssitzung beschlossen“, ergänzt Pankratz, „sich an Bundespräsident Thomas Klestil zu wenden. Wir haben ihn heute früh um einen dringenden Gesprächstermin ersucht, um ihm unsere Vorstellungen über Sofortmaßnahmen zum Schutz der noch akut von § 209 Betroffenen und über eine umfassende Rehabilitierung der rund 250 seit dem Fehlurteil aus 1989 rechtswidrig verurteilten Personen zu präsentieren. Wir hoffen, daß dieses Gespräch noch diese Woche oder spätestens nächste Woche zustande kommen wird, denn hier handelt es sich in der Tat um einen rechtsstaatlichen Not- und Ausnahmefall. Wir erwarten von Bundespräsident Klestil entsprechende Maßnahmen, um das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen.“

Mißglückte Exit-Strategie? – Verfassungsrichter rücktrittsreif

„Dieser in der 2. Republik einmalige Justiz-Skandal muß auch Konsequenzen im VfGH haben“, meint HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler, „zumindest jene fünf Richter, die an beiden Entscheidungen mitgewirkt haben, müßten eigentlich zurücktreten – egal, ob es sich um einen Irrtum, Schlamperei oder um eine mißglückte Exit-Strategie handelt, bei der nach einer Möglichkeit gesucht wurde, § 209 trotz der 1989 vom VfGH festgestellten Verfassungskonformität ohne größeren Gesichtsverlust für die HöchstrichterInnen jetzt doch aufzuheben. Aufgrund des massiven Drucks internationaler Menschenrechtsorgane war ja § 209 einfach nicht mehr länger zu rechtfertigen und zu halten.“

Volle Rehabilitierung aller Opfer

„Insbesondere die seit 1989 verurteilten Personen müssen voll rehabilitiert werden“, fordert Högl. „Es kann nicht angehen, daß sie wegen der schlechten Arbeit des VfGH unentschädigt Nachteile in Kauf nehmen mußten und eventuell auch heute noch müssen. Auch für die akut Betroffenen, die noch im Gefängnis sitzen bzw. denen noch Gerichtsverfahren oder der Antritt von Haftstrafen bevorsteht, muß dieses Unrecht sofort beseitigt werden.“

HOSI Wien will Geld zurück

„Die HOSI Wien fordert außerdem die Rückerstattung ihrer Kosten in der Höhe von 25.000 Euro“, so Krickler weiter. „Wir hatten das damalige Verfahren für den inzwischen verstorbenen Beschwerdeführer Walter Z. finanziert – eine Individualbeschwerde kann nämlich nur von einer Einzelperson, nicht aber von einem Verein eingebracht werden. Da sich nun herausgestellt hat, daß unsere damaligen Argumente zu einem Erfolg unserer Beschwerde führen hätten müssen und dieser Erfolg uns nur durch die willkürliche und mittlerweile geänderte Begründung des VfGH versagt blieb, haben wir wohl ein Anrecht auf Ersatz unserer Kosten. Vielleicht könnte man ja den Betrag den VerfassungsrichterInnen von ihrem nächsten Gehalt abziehen!“

Anmerkung: Weitere Hintergrundinformationen hier, insbesondere die Analyse des VfGH-Erkenntnisses.

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