Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs

Nach VfGH-Erkenntnis: HOSI Wien fordert generelle Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften

„Seit der richtungsweisenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Juli 2003 in der von der Homosexuellen Initiativen (HOSI) Wien mitbetreuten Beschwerde Karner gegen Österreich ist klar gewesen, dass jede Diskriminierung von gleich- gegenüber verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellt.“

„Daher musste auch der Verfassungsgerichtshof die entsprechende Einschränkung der Mitversicherungsmöglichkeiten in den österreichischen Sozialversicherungsgesetzen als verfassungswidrig aufheben“, zeigt sich HOSI-Wien-Obfrau Bettina Nemeth wenig überrascht über das heute veröffentlichte Erkenntnis des VfGH.

„In der damaligen Mietrechtssache hatte der EGMR ausdrücklich festgestellt, dass eine rechtliche Differenzierung aufgrund des Geschlechts bzw. der sexuellen Orientierung – und damit eine Ungleichbehandlung von verschieden- und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften – nur dann keine Verletzung der EMRK darstelle, wenn von Seiten des Gesetzgebers ‚schwerwiegende‘ Gründe für eine solche Differenzierung ins Treffen geführt werden können. Da es bei sämtlichen relevanten Rechtsbereichen jedoch faktisch ausgeschlossen ist, solche ‚schwerwiegenden‘ Gründe zu finden, war für uns seit Juli 2003 klar, dass gleich- und verschiedengeschlechtliche LebensgefährtInnen dieselben Rechte haben müssen.“ – Details zu diesen Rechtsbereichen hier.

Bundesregierung hat EGMR-Entscheidung auf Kosten der SteuerzahlerInnen bisher ignoriert

„Die Bundesregierung hat die weitreichenden Konsequenzen des EGMR-Urteils in der Beschwerde Karner allerdings bis heute ignoriert und ist untätig geblieben“, ergänzt HOSI-Wien-Obmann Christian Högl. „Die ÖVP will uns indes seit Herbst 2004 die Gleichstellung von Lebensgemeinschaften als ihre Variante der Eingetragenen PartnerInnenschaft und als große Errungenschaft verkaufen, wobei es bisher ohnehin bei einer bloßen Ankündigung geblieben ist. Nur: Das ist eine Mogelpackung, denn zur völligen rechtlichen Gleichstellung der Lebensgemeinschaften ist Österreich nach dem denkwürdigen Karner-Urteil Straßburgs und dem jetzigen VfGH-Erkenntnis ohnehin verpflichtet. Wir fordern die Bundesregierung daher dringend auf, zumindest die Lebensgemeinschaften in allen relevanten Rechtsbereichen auch formal jetzt endlich gleichzustellen, damit sich Lesben und Schwule weitere Beschwerden an den VfGH und diesem damit Arbeit ersparen können – und die SteuerzahlerInnen weitere Kosten für Entschädigungen an die Betroffenen. – Von ÖVP/BZÖ erwarten wir ohnehin keine Angleichung der Rechte an die Ehe.“

VfGH in der Bredouille

„Höchst peinlich ist die Sache auch wieder für den Verfassungsgerichtshof, der jetzt seine erst fünf Jahre alte Entscheidung korrigieren musste“, erklärt HOSI-Wien-Generalsekretär Kurt Krickler. „2000 hatte er eine ähnliche Beschwerde noch zurückgewiesen (B 2116/98). Schön langsam haben wir die Nase voll davon, dass uns die VerfassungsrichterInnen erst dann unsere vollen Verfassungs- und Menschenrechte gewähren, wenn ihnen Straßburg entsprechend Beine macht. Das war beim § 209 nicht anders, da hat es fünf Beschwerden und 16 Jahre gedauert, bis der VfGH die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung erkennen konnte. Diesmal war der VfGH wenigstens klug genug, nicht auf ein ‚neues Bedenken‘ zu bestehen wie beim § 209 – das sich dann ohnehin als nicht neu herausstellte –, sondern sich bei seinem Sinneswandel auf die geänderte Judikatur des EGMR zu berufen. Das hätte er beim § 209 auch tun können.“

Fall in Straßburg anhängig

„Wir erwarten jetzt auch von der Bundesregierung“, so Krickler abschließend, „dass sie diese diskriminierenden Bestimmungen im Sozialversicherungsrecht in Straßburg nicht weiter verteidigt. Dort liegt seit drei Jahren die Beschwerde Nr. 18984/02, P. B. und J. S. gegen Österreich, jener von der HOSI Wien unterstützte Fall, den der VfGH 1998 zurückgewiesen hatte (B 935/98-3). Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung ist Österreich aufgefordert, dem EGMR bis 13. Dezember 2005 Argumente für diese rechtliche Ungleichbehandlung vorzulegen. Das hat sich durch das VfGH-Erkenntnis jetzt wohl erübrigt.“

Anmerkung: Siehe dazu auch die Aussendungen der HOSI Wien
vom 11. Juli 2005 sowie
vom 21. Jänner 2002.

HINWEIS:

Da in den letzten Wochen und Monaten in zahlreichen Printmedien nicht korrekte Informationen über die Rechtslage betreffend „Lesben- und Schwulenehe“ im europäischen Ausland veröffentlich worden sind, hat die HOSI Wien auf ihrer Web-Abteilung „Wir wollen heiraten!“ eine ausführliche Übersicht zusammengestellt und durch eine einschlägige, einfach zu lesende Europa-Karte ergänzt.

Noch ein Hinweis: Bitte den EGMR in Straßburg nicht mit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in Luxemburg zu verwechseln.

Das Urteil im Wortlaut:

Mitversicherung Anlassfall G87-05

Schreibe einen Kommentar