Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien

1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs

Resolution der 23. Generalversammlung (3. März 2002)

1. Sofortige Aufhebung des § 209 StGB durch den Verfassungsgerichtshof

Die 23. Generalversammlung der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien fordert den Verfassungsgerichtshof auf, noch in seiner Frühjahrssession 2002 Paragraph 209 StGB als verfassungswidrig aufzuheben.

Unabhängig davon, wie rasch sich der VfGH zur Aufhebung des § 209 entschließt, wird in einigen Monaten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg diese Strafbestimmung aller Voraussicht nach als Menschenrechtsverletzung aufheben. Daher gehen wir davon aus, daß die diesjährige Generalversammlung der HOSI Wien die letzte ist, bei der § 209 noch besteht, und richten deshalb bereits heute unsere konkreten Forderungen an Politik und Gesellschaft für die Zeit nach der Beseitigung dieser letzten strafrechtlichen Diskriminierung und Verfolgung Homosexueller in Österreich.

2. Entschuldigung durch das Parlament

Analog zur Entschließung des deutschen Bundestags vom Dezember 2000, der damit nicht nur die homosexuellen NS-Opfer rehabilitierte, sondern auch sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, daß das Totalverbot nach § 175 im Strafrecht der BRD noch bis 1969 in Kraft blieb, fordern wir eine Entschließung des Nationalrats, in der dieser:

  1. sich zu seiner Verantwortung für die jahrzehntelange menschenrechtswidrige Unterdrückung und strafrechtliche Verfolgung von Lesben und Schwulen in Österreich bekennt,
  2. sich für das dadurch homosexuellen Frauen und Männern zugefügte Unrecht und Leid entschuldigt und
  3. alle Opfer dieser Politik und Gesetzgebung rehabilitiert.

3. Rehabilitierung der Opfer

Mit dieser Entschließung sind konkret:

  • alle Urteile, die nach 1918 gemäß § 129 I b (sofern es sich nicht um Verfahren wegen sexueller Handlungen mit Unter-14jährigen handelte) sowie die nach 1971 gemäß den §§ 209, 210, 220 und 221 StGB gefällt worden sind, offiziell für nichtig zu erklären und als Unrechtsurteile aufzuheben und
  • die im Nationalsozialismus (1939-45) wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten besonders zu rehabilitieren.

Darüber hinaus ist gleichzeitig die Entschädigung der tausenden Opfer dieser staatlichen Unterdrückungspolitik zu regeln (zwischen 1945 und 1971 wurden rund 15.000 Verurteilungen nach § 129 I b ausgesprochen, seit 1971 rund 1.500 nach den §§ 209, 210, 220 und 221), und zwar:

  1. die Aufnahme der im Nationalsozialismus wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten ins bestehende Opferfürsorgegesetz,
  2. die Entschädigung aller nach 1945 gemäß § 129 I b (sofern es sich nicht um Verfahren wegen sexueller Handlungen mit Unter-14jährigen handelte) und aller nach 1971 gemäß den §§ 209, 210, 220 und 221 StGB verurteilten Personen für die über sie verhängten Freiheits- und Geldstrafen, insbesondere die beitragsfreie Anrechnung der Haftzeiten als Ersatzzeit auf die Pensionsversicherungszeit, die entsprechend verzinste Rückzahlung verhängter Geldstrafen sowie die pauschale Abgeltung allfälliger Anwalts- und Gerichtskosten und jedes Haftmonats sowie
  3. die kostenfreie Rücknahme bzw. Aufhebung sämtlicher sonstiger Sanktionen und Maßnahmen, die gegen die im vorigen Punkt erwähnten Personen verhängt wurden, wie etwa die Aberkennung akademischer Grade, der Entzug von Gewerbeberechtigung oder Führerschein etc.

Da viele Opfer heute nicht mehr am Leben sind, ist an deren statt ein entsprechender Teil der Entschädigungszahlungen an die österreichische Lesben- und Schwulenbewegung zu entrichten, um die Geschichte der Verfolgung und Unterdrückung zu erforschen bzw. um Maßnahmen zur Bewußtseinsbildung in der breiten Bevölkerung zu setzen.

4. Einsetzung einer nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission

Mit der Beseitigung der letzten strafrechtlichen Diskriminierung Homosexueller, einer Entschuldigung des offiziellen Österreichs sowie der erwähnten Entschließung kann indes noch kein endgültiger Schlußstrich unter diesen dunklen Abschnitt der österreichischen Geschichte gezogen werden. Politik und Gesellschaft haben unermeßliche Schuld auf sich geladen.
Erst durch die Aufarbeitung des in der Vergangenheit zugefügten Unrechts kann das traurige Kapitel der Kriminalisierung und Pathologisierung der Homosexualität abgeschlossen und die Grundlage für einen neuen Umgang der Gesellschaft mit ihren homosexuellen MitbürgerInnen geschaffen werden: statt Ausgrenzung und Diskriminierung Gleichstellung und Gleichberechtigung.
Für diese Aufarbeitung fordern wir die Einsetzung einer nationalen Wahrheits- und Versöhnungskommission. Sie soll das volle Ausmaß der Unterdrückung und Verfolgung von Lesben und Schwulen im vergangenen Jahrhundert ebenso untersuchen wie die Ursachen dafür, warum es in Österreich – im Gegensatz zu den allermeisten Staaten Europas – möglich war, daß die strafrechtliche Diskriminierung Homosexueller bis ins 21. Jahrhundert fortdauern konnte.
Weitere Aufgaben dieser Wahrheits- und Versöhnungskommission müssen u. a. sein:

  1. die Erforschung der Kontinuität der Verfolgung von Lesben und Schwulen in Medizin und Psychiatrie nach 1945: Bis in die 1980er Jahre wurden in Österreich Menschen wegen ihrer Homosexualität zwangskastriert, mit Elektroschocks behandelt bzw. gehirnchirurgischen Eingriffen (Lobotomie, Stereotaxie) unterzogen. Das Schicksal dieser Menschen liegt bis heute im Dunkeln. Auch sie müssen moralisch rehabilitiert und für ihr Leid entschädigt werden;
  2. die Erforschung der negativen Auswirkungen der gesellschaftlichen Unterdrückung nach 1945 auf die Lebensläufe und Biographien von Lesben und Schwulen in Österreich (berufliche Nachteile, Exil, Freitod usw.) und das Ausmaß dieser negativen Folgen;
  3. die kritische Analyse und objektive Überprüfung sowie gegebenenfalls die Ächtung des skandalösen Fehlurteils des Verfassungsgerichtshofs betreffend § 209 StGB aus 1989 (G 227/88 + G 2/89) – damals lagen dem VfGH bereits ausreichend Argumente vor, um diese menschenrechtswidrige Bestimmung für nicht verfassungskonform zu erklären – sowie die Erstattung durch die Republik Österreich der Anwalts- und Prozeßkosten in der Höhe von € 25.000,–, die der HOSI Wien bei diesem Verfahren entstanden sind;
  4. die Formulierung von Maßnahmen für die Bewußtseinsbildung in breiten Bevölkerungsschichten in Sachen diskriminierungsfreier Haltungen gegenüber Lesben und Schwulen; insbesondere ist auch im Bereich der Schulen, Bildungs- und Jugendeinrichtungen der veraltete Vorurteils-Ballast aus Lehrmaterialien und Lehrplänen zu entfernen und die Jugend zu einer vorurteilsfreien Einstellung heranzuführen;
  5. die Erarbeitung von Maßnahmen sowohl zur Förderung der Akzeptanz von lesbischen und schwulen Jugendlichen durch die Gemeinschaft als auch ihres Stolzes und Selbstwertgefühls und damit ihrer Selbstakzeptanz;
  6. die Erarbeitung und Umsetzung positiver Maßnahmen gegen die Ausgrenzung und Diskriminierung von homosexuellen MitbürgerInnen (z. B. umfassendes Antidiskriminierungsgesetz, rechtliche Anerkennung und Gleichstellung gleichgeschlechtlicher PartnerInnenschaften mit heterosexuellen Lebensformen).

Insbesondere politische Parteien, die Kirchen und andere maßgebliche gesellschaftliche Kräfte – wie etwa die Massenmedien, die Medizin, die Wissenschaft, MeinungsmacherInnen, KünstlerInnen, Intellektuelle usw. – sind eingeladen und aufgefordert, sich in einer gemeinsamen Anstrengung an dieser Vergangenheitsbewältigung zu beteiligen, ihre jeweilige Rolle an der Verfolgung und Unterdrückung bzw. ihre Untätigkeit im Kampf dagegen zu hinterfragen und ihre Verantwortung dafür zu übernehmen.

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